Interview

Die Reise von Tschaina: Vom Möbelschreiner zum Gründer von twigr

Martin «Tschaina» Lieberherr, Gründer von twigr, über Visionäre als Vorbild, was er bei Red Bull lernte und weshalb ihm Achtsamkeit sehr wichtig ist.

Marc Bölsterli
Marc Bölsterli

Martin «Tschaina» Lieberherr, Gründer von twigr, über Visionäre als Vorbild, was er bei Red Bull lernte und weshalb ihm Achtsamkeit sehr wichtig ist.

Here you can find the English version of this interview.

Hallo Tschaina, schön, dass du uns in unserem Office in Zürich besuchst. Wie geht es dir?

Vielen Dank für die Einladung, mir geht es sehr gut.

Du hast viele berufliche Stationen hinter dir. Wie hat deine Karriere gestartet?

Ich bin gelernter Möbelschreiner, blieb aber nicht lange auf diesem Beruf und stieg in den Verkauf bei OPO Oeschger ein. Dort lernte ich das Handwerk des Verkaufens. Nach einigen Jahren fing ich an, nebenbei Partys zu veranstalten, was sehr gut lief und mir viel Spass machte. Nach 15 Jahren als Verkäufer bekam ich 2005 das Angebot, bei Red Bull als Musketier einzusteigen.

Wie hast du die Zeit bei Red Bull erlebt?

Das war eine sehr lehrreiche Zeit. Ich lernte, wie man Begehrlichkeiten weckt und positive Emotionen auslöst. Als Red Bull Musketiere waren wir Botschafter der Marke, keine Verkäufer. Die Reaktionen auf diesen Job waren oft einfach nur ein «WOW». Als ich 2005 irgendwo im hintersten Dorf im Kanton Glarus im Namen von Red Bull anrief, bekam ich sofort einen Termin. Dies war kein Vergleich zu meiner Zeit bei OPO Oeschger, als sich noch niemand für mich interessierte. Zudem durfte ich Dietrich Mateschitz, den Gründer von Red Bull, persönlich kennenlernen. Es war eine sehr schöne Zeit.

"Wenn ich sagte, dass ich für Red Bull arbeite, war die Reaktion oft nur «WOW»"

Weshalb hast du dann bei Red Bull aufgehört?

2006 erhielt ich die Gelegenheit, zusammen mit Andrea und Giancarlo Pallioppi die Geschäftsleitung des Hotel Kurhaus auf der Lenzerheide zu übernehmen - plötzlich war ich Quereinsteiger in der Hotellerie. Dort war ich bis 2014 beschäftigt und wir realisierten eine schöne Erfolgsgeschichte. Zusammen mit unserem Team konnten wir ein verstaubtes Hotel aufhübschen. Wir eröffneten neue Clubs und Bars, richteten Lounges ein und organisierten Partys. Durch meine Erfahrung als Möbelschreiner und als ehemaliger Partyorganisator wusste ich glücklicherweise bestens, wie eine erfolgreiche Bar aufgebaut sein muss. Oft half ich sogar selbst mit, die Bars zu planen und zu bauen.

Dann bist du in die Stadt Zürich gekommen, richtig?

Ja, genau. 2014 wurde ich vom neuen Besitzer des Kaufleuten beauftragt, dieses wieder zum Glänzen zu bringen, so wie ich das bereits mit dem Kurhaus gemacht habe. Für mich war das eine grosse Ehre, denn diese Location gehört zur absoluten Spitzenklasse, für mich war es wie ein Ritterschlag.

Warum hast du das Kaufleuten verlassen?

Ich musste eine 2.5-jährige Pause einlegen, da ich an einem Burn-out litt. Im Nachhinein war es das Beste, was mir passieren konnte. Ich war drei Monate in stationärer Behandlung und anschliessend drei Monate in der Tagesklinik. Während die stationäre Klinik mit einem Hotel vergleichbar ist, sind in der Tagesklinik alle Bevölkerungsschichten vertreten. Einer trug immer den gleichen Pullover. Ich fragte ihn, ob er mehrere davon hat und er antwortete, dass er nur diesen einen besitzt. Mehr könne er sich nicht leisten. Diese Armut war für mich sehr schockierend. Es war eine sehr schwierige Zeit. Viele Freunde haben sich von mir abgewendet. Von allen meinen Freunden blieben schlussendlich nur noch eine Handvoll.

"Von all meinen Freunden blieben schlussendlich nur eine Handvoll."

Wie konntest du dich wieder erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren?

Ich fing, an zwei Stunden pro Tag zu arbeiten. Meine erste Aufgabe war es, 4'000 Briefe zu falten und in Couverts zu stecken. Das war für mich eine grosse Umstellung – vor meinem Burn-out war ich für 350 Mitarbeitende verantwortlich und nun sollte das meine neue Aufgabe sein. Es fühlte sich wie eine Strafe an. Trotzdem habe ich mit der Arbeit begonnen und entwickelte schon nach kurzer Zeit ein System und war rasch doppelt so schnell wie alle anderen (lacht).

Danach bist du noch einmal in die Hotellerie eingestiegen.

Nach meiner Wiedereingliederung in den Berufsalltag versuchte ich mich in anderen Branchen. Es zog mich nochmals in die Berge. Ich wurde Vizedirektor der Morosani Gruppe, zu der beispielsweise das Posthotel oder der Schweizerhof in Davos gehören. Diese Aufgabe erfüllte mich nicht ganz, weshalb ich nochmals ins Kurhaus ging. Es wurde mich dann aber relativ schnell klar, dass für mich der Zeitpunkt gekommen war, aus der Hotellerie auszusteigen. Ich entschied mich, in die Personalvermittlung zu wechseln und konnte mir dabei ein grosses Netzwerk aufbauen. Mir wurde bewusst, dass ich dieses Netzwerk beruflich nutzen sollte.

Womit wir nun bereits bei deinem Startup sind. Was ist twigr?

Menschen vertrauen eher persönlichen Weiterempfehlungen als Suchmaschinen. Traditionelle Suchmaschinen wie Google zeigen dir nicht, was du suchst, sondern was du finden sollst. Ich wollte etwas dagegen unternehmen und gründete twigr. Auf twigr findet man, was man sucht, auf der Basis von Weiterempfehlungen unserer Partner und Members. Die Plattform hat sowohl einen B2B- als auch einen B2C-Bereich. Bei twigr haben wir handverlesene Partner aus allen Bereichen, die Experten und Entscheidungsträger auf ihrem Gebiet sind. Alle unsere Partner sind miteinander vernetzt und wir leben eine «Du-Kultur». Auf der B2C-Seite geben die Partner den twigr Members einen exklusiven Benefit. Dies kann beispielsweise ein Rabatt sein.

"Google zeigt nicht, was du suchst, sondern was du finden sollst. Dagegen wollte ich vorgehen. Bei twigr findet man alles, was man sucht, basierend auf persönlicher Weiterempfehlung unserer Partner."

Wie konnte dich Voa Labs bei der Umsetzung von twigr unterstützen?

Voa Labs war massgeblich daran beteiligt, twigr von Grund auf aufzubauen. Wir arbeiteten zu Beginn mit Voa Labs zusammen, um einen funktionalen Prototyp zu erstellen – welcher bereits nach vier Wochen umgesetzt war. Anschliessend hat uns Voa Labs bei der Produktstrategie beraten und unsere gesamte Plattform von Anfang bis Ende entwickelt.

Wo siehst du twigr in 10 Jahren?

In 10 Jahren haben wir 2% aller Unternehmen in der Schweiz als Partner gewonnen, mehr wollen wir auch gar nicht. twigr soll Google nicht ersetzen, sondern das Red Bull der Suchmaschinen werden. Also ein exklusives Produkt in einem scheinbar gesättigten Markt. Das geht aber nur, wenn das nötige Kapital und ein hervorragendes Team vorhanden ist.

Hast dubei twigr bereits schwierige Momente erlebt?

Klar. Viele davon waren aber nicht in unserem Einflussbereich. Corona hat uns ziemlich im Wachstum behindert. Zudem ist die Kundenakquise sehr zeitaufwändig. Am Anfang war ich nur mit zwei A4-Blättern unterwegs, um meine Idee vorzustellen und Firmen von der Idee zu überzeugen. Wir mussten zudem konstant schauen, wie wir genug Geld zusammentreiben konnten, um die Produktentwicklung voranzutreiben.

Was hast du als Gründer aus diesen Rückschlägen gelernt und welche Tipps kannst du anderen Gründern geben?

Ich würde meinen sicheren Job nicht nochmals sofort komplett aufgeben, sondern zuerst auf 80%, dann 60% reduzieren. So hat man die Fixkosten des eigenen Startups im Griff.

Wer sind deine Vorbilder?

Ich habe drei Vorbilder. Reinhold Würth, den Gründer des Würth-Konzerns. Er startete mit dem Verkauf von Schrauben. Am Ende des zweiten Weltkrieges war er mit dem Leiterwagen unterwegs und verkaufte diese so. Heute ist Würth ein internationaler Konzern und machte letztes Jahr knapp 20 Milliarden Euro Umsatz. Seine Willenskraft ist sehr inspirierend. Dann natürlich Steve Jobs, dessen Technologien mich bis heute begleiten. Als Drittes Dietrich Mateschitz, der mit seinen Energydrinks eine neue Produktkategorie erfand. Alle drei Männer sind inspirierende Visionäre.

Du hast von deinem Burn-Out gesprochen, trotzdem arbeitest du wieder sehr viel. Was tust du, um nicht erneut ein Burn-Out zu erleiden?

Ich bin sehr achtsam und höre auf meinen Körper. Deshalb bin ich am Wochenende gerne einfach zu Hause, geniesse die Ruhe und schalte auch bewusst mal mein iPhone aus. Ich entscheide mich bewusst, mit wem ich mich treffe und sage auch mal einen Termin ab, wenn ich mich nicht fit genug fühle.

Welches Talent besässest du gerne?

Ich würde gerne den Rubik’s Cube selbstständig lösen können (lacht) oder ein Instrument spielen können. Am liebsten Gitarre oder Schlagzeug.

Mehr Informationen zu twigr in der Case Study.

Written by
Marc Bölsterli

Marc Bölsterli is a Digital Communications Intern at Voa Labs. He manages all social media channels, writes blog articles and newsletters, and collaborates on client projects as a communication specialist.

Previously, Marc worked in various gastronomy and hospitality businesses, where he gained his passion for teamwork and customer-centricity.

Marc holds a Bachelor of Business Administration with a focus on marketing from the University of St. Gallen (HSG) and is currently enrolled in the Master in Marketing Management also at the University of St. Gallen (HSG).

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